Wir lehren Euch Anatomie in allen ihren Teilen, auf dass ihr in der Lage seid, jederzeit ein lebendiges Bild vor euch zu haben und alle Gelenke, Bänder, Muskeln, Drüsen, Arterien, Venen, Lymphbahnen oberflächliche und tiefe Faszien und alle Organe vor euch seht, wie sie ernährt werden, was sie zu tun haben und was im Falle passiert, dass ein Teil nicht richtig und zum richtigen Zeitpunkt funktioniert.
Ich fühle mich frei, meinen Studenten zu sagen: „behaltet das Bild des normalen Körpers aller Zeit in eurem Geiste, während ihr den Kranken behandelt.“
Andrew Taylor Still
Die Osteopathie ist eine eigenständige, ganzheitliche Form der Medizin, bei der Untersuchung und Therapie mit den Händen stattfinden und die den Ursachen von Beschwerden auf den Grund geht.
Andrew Taylor Still, ein amerikanischer Arzt, entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Prinzipien der Osteopathie. Er betrachtete den Menschen als Einheit aus Körper, Geist und Seele. Intensive Studien der Anatomie führten ihn zu der Überzeugung, dass der Mensch die Voraussetzungen für Gesundheit in sich trägt. Dafür benötigt er gute Beweglichkeit und Dynamik in allen Bereichen des Körpers, vor allem auch in den Blut- und Lymphgefäßen - denn diese gewährleisten die Ver- und Entsorgung des Gewebes.
Die unzähligen Strukturen in unserem Organismus stehen alle direkt oder indirekt miteinander in Verbindung. Dünne Bindegewebshüllen - sogenannte Faszien - umhüllen jede Struktur und bilden eine große gemeinsame Körperfaszie. Die Osteopathie weiß um diese Verbindungen und kann damit erklären, warum Ursache und Beschwerden häufig nicht an der gleichen Stelle zu finden sind.
Bei der osteopathischen Behandlung werden mit den Händen Bewegungseinschränkungen im Gewebe aufgespürt, durch die der Körper seine Fähigkeit zur Selbstregulation verliert. Der Osteopath benötigt hierfür ein jahrelanges intensives Training des Tastvermögens, das in einer fünf- bis sechsjährigen Ausbildung erlernt wird.
Im Körper arbeiten verschiedene Systeme, die in der Osteopathie behandelt werden:
Die Behandlung von Faszien, Muskeln, Knochen und Gelenken stellt traditionell die Basis der osteopathischen Behandlung dar.
Blockaden im Körper können zu Auswirkungen an völlig anderen Körperstellen führen. Ein verstauchtes Fußgelenk kann beispielsweise zu Kopfschmerzen führen, Verdauungsbeschwerden können ihre Ursache in der Lendenwirbelsäule haben, Schwindel und Ohrgeräusche durch die Halswirbelsäule ausgelöst sein.
Osteopathen lernen in ihrer Ausbildung, diese Zusammenhänge zu verstehen und zu erkennen. Durch eine sorgfältige Anamnese (Befragung), Untersuchung mit Palpation (Abtasten) von Verspannungen und schmerzhaften Strukturen sowie Bewegungstests kann der Osteopath die Ursachen der Symptome erkennen und so seine Behandlung gezielt aufbauen.
Auch die inneren Organe sind von faszialem Gewebe umhüllt und untereinander und zum parietalen System verbunden. Spannungen in diesem System können zu Störungen der Mobilität (Bewegung der Organe im Raum) und Motilität (Eigenbewegung der Organe, Rhythmik) führen. Diese Einschränkungen haben Einfluss auf die Organfunktion selbst und auch auf andere Körperstrukturen.
In der viszeralen Osteopathie werden Bewegungseinschränkungen der Organe ertastet, das Erfühlen der Motilität gibt dem Osteopathen zusätzlich einen Hinweis auf die Gesundheit des jeweiligen Organs. Störungen werden befundorientiert durch verschiedene Techniken mobilisiert und korrigiert.
Eine verbesserte Mobilität der Organe und der umgebenden Strukturen führt zu einer besseren Durchblutung und Drainage von gestautem Gewebe. Dadurch wird die Organfunktion unterstützt und angeregt, die Selbstregulation und Selbstheilung des Körpers wird aktiviert.
Eine gute Balance zwischen dem parietalen und dem viszeralen System herzustellen ist eine wesentliche Aufgabe der osteopathischen Behandlung.
Die kraniosakrale Osteopathie bildet die dritte Säule der osteopathischen Behandlung. William Garner Sutherland, ein Schüler von Andrew Taylor Still, untersuchte über Jahre hinweg die Anatomie des Schädels, insbesondere die Schädelnähte (Suturen) und deren Ausformung. Sutherland stellte eine sehr feine, eigenständige Bewegung am Schädel und Kreuzbein, aber auch an anderen Strukturen des Körpers fest. Diese wird als primärer respiratorischer Mechanismus (PRM) bezeichnet und bildet ein wichtiges Instrument für die Diagnostik und Behandlung in der Osteopathie.
Entgegen der landläufigen Meinung, der Schädel sei fest verknöchert, ist in den Nähten zwischen den einzelnen Schädelknochen (Suturen) eine minimale Bewegung möglich. Jeder, der schon einmal einen zu engen Helm oder eine straff sitzende Brille getragen hat, kann verstehen, wozu eine eingeschränkte Mobilität der Schädelknochen zueinander führen kann. Kopfschmerzen, Schwindel oder Ohrgeräusche sind noch die harmloseren Folgen, die daraus entstehen können.
Blockaden und Störungen im kraniosakralen Systems beeinflussen das gesamte Gefäß- und Nervensystem des Körpers und können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Denkbar sind beispielsweise Blockaden der Suturen durch äußere Einflüsse oder Traumata, erhöhte Spannungen in den Hirn- und Rückenmarkshäuten oder eine gestörte Drainage der Gewebe in diesem Bereich. Auch seelische Belastungen können sich im kraniosakralen System zeigen. Vor allem dem Keilbein wird in der kraniosakralen Osteopathie große Bedeutung beigemessen, da es als zentraler Punkt im Schädel Einfluss auf viele weitere Strukturen nehmen kann.
Die kraniosakrale Behandlung wirkt sich - wie auch die parietale und viszerale Behandlung - positiv auf die Selbstregulationskräfte des Körpers aus.
Nach einer ausführlichen Anamnese (Befragung) und Untersuchung des Patienten mit den Händen beginnt die eigentliche Behandlung des Patienten. Diese ist individuell auf jeden einzelnen Menschen zugeschnitten. Gewöhnlich setzt die Reaktion - und damit die Selbstregulation - auf eine osteopathische Behandlung erst nach einiger Zeit ein und kann zwei bis drei Wochen anhalten. Auch eine kurzfristige Verschlimmerung der Beschwerden ist möglich. Bei Folgebehandlungen, die daher in der Regel auch erst mehrere Wochen später stattfinden, wird die Veränderung im Gewebe überprüft und entsprechend des aktuellen Befundes gegebenenfalls nachgesteuert. So wird nach und nach eine möglichst optimale Beweglichkeit der Körpergewebe und damit langfristige Selbstregulationsfähigkeit erreicht.
Die Osteopathie behandelt also keine Krankheiten, sondern sucht und beseitigt die Ursachen der Beschwerden.
Diese Art der Behandlung braucht Zeit. Daher dauert eine osteopathische Behandlung in der Regel bis zu einer Stunde.
Osteopathie kann als alleinige Behandlungsmethode Anwendung finden, aber auch (vor allem bei schweren Erkrankungen) begleitend und unterstützend zu anderen medizinischen Behandlungen eingesetzt werden.
Osteopathie gilt in Deutschland als Heilkunde und darf daher nach aktueller Rechtslage nur durch Ärzte oder Heilpraktiker ausgeübt werden.
Natürlich und handgemacht, ohne Medikament oder medizinisches Gerät – Osteopathie ist eine manuelle Therapie für viele Beschwerden, ein schonendes Verfahren, das bis ins hohe Alter anwendbar ist.
Die osteopathische Behandlung von Babys, Kleinkindern und Jugendlichen ist eine Spezialdisziplin der Osteopathie. Während der körperlichen Entwicklung sind die jungen Patienten mit einer ständigen Veränderung von Muskeln, Geweben und Knochen konfrontiert, ihre Anatomie unterscheidet sich zum Teil erheblich von der Erwachsener. Manche Knochen entstehen beispielsweise erst während der ersten Lebensjahre, einige Organe liegen noch nicht an ihrem endgültigen Platz.
Die Kinderosteopathie befasst sich aber nicht nur mit der Behandlung von Kindern und Jugendlichen, sondern auch mit embryologischen Entwicklungsschritten, Beschwerden und Behandlungsformen während der Schwangerschaft, Geburtsvorbereitung und Geburt. Bereits die Lage des Kindes im Mutterleib mit möglichen Fehllagen, die Dauer und Schwere der Geburt oder auch ein Kaiserschnitt - vieles kann Einfluss auf die weitere Entwicklung des Kindes haben.
Die Behandlung durch einen qualifizierten Osteopathen bietet eine gute Möglichkeit, vielfältige Beeinträchtigungen bei Kindern sanft und mit raschem Erfolg zu behandeln. Bei Beschwerden gilt: je eher, desto besser.